SP Position zum Wirtschaftsstandort Winterthur
Kurz hintereinander haben die Konzerne Rieter, Zimmer Biomet und Wärtislä bekanntgegeben, Teile ihres Unternehmens aus Winterthur abzuziehen. Damit gehen der Stadt gut 300 Arbeitsplätze und einige Millionen Franken Steuereinnahmen verloren. Das schmerzt – auch uns! Das können Sie mir ruhig glauben.
Medial wurde die Thematik breit aufgenommen: Lokal im Landboten, unaufgeregt und sachlich. Ausserhalb von Winterthur oft dramatisierend und als Anlass für politische Forderungen: Die NZZ forderte in einem Kommentar zum an sich differenzierten Artikel kategorisch «die Steuern müssen rasch runter!». Die Trittbrettfahrer von der Handelskammer sprachen alarmistisch von einem «Weckruf für Winterthur». Der Landbote bot ihr vor einer Woche viel Platz an bester Lage für ein langes Interview mit dem Präsidenten, bei dem die Empörung mit jedem Satz so stark stieg, wie die inhaltliche Fundierung abnahm.
Wohltuend heben sich von dieser pauschalen, nicht fundierten und für Winterthur schädlichen Panikmache die Stellungnahme des Stadtpräsidenten und des Finanzvorstehers ab. Sie legen sachlich dar, dass die Zahl der Arbeitsplätze seit 15 Jahren kontinuierlich ansteigt, vornehmlich im tertiären Sektor, der etwa sechsmal grösser ist als der verarbeitende Sektor, zu dem die wegziehenden Firmen gehören. Und sie weisen zurecht darauf hin, dass renommierte Firmen wie Stadler Rail, Daimler-Benz (Evobus) und andere sich neu in Winterthur niederlassen oder hier Arbeitsplätze ausbauen.
Vielleicht rückt das Interview im Landboten vom letzten Freitag mit dem CEO der Axa Schweiz, Fabrizio Petrillo, die Verhältnisse ins richtige Licht: Er lobt den Standort Winterthur: «Die Standortvorteile, die Winterthur bietet, sind für uns wichtiger, als die paar Millionen Franken, die man mit einem Umzug einsparen könnte. Wir sind in der Nähe der Stadt Zürich, können gleichzeitig Mitarbeiter aus der Ostschweiz gewinnen. Wir haben eine sehr gute Beziehung zur Stadt Winterthur …», und weiter: «Wie alle grossen Firmen haben wir einen regelmässigen Dialog, auch mit dem Stadtpräsidenten. Das ist wichtig, um sich gegenseitig zu verstehen. Wenn wir der Stadt helfen können, sich weiterzuentwickeln, dann tragen wir gerne auch selbst dazu bei.» Und zum Schluss: «Die Axa muss der Stadt keine Ratschläge geben, da gibt es genug kompetente Leute in der Verwaltung.» – Wohltuend sachlich! Würde man das in einem SP-Positionspapier lesen, würde es als staatsgläubiges Pamphlet verhöhnt.
Damit sind wir bei der Position der SP
1. Wir gratulieren dem Stadtrat zu seiner unaufgeregten Haltung, die er in den letzten Wochen in dieser Angelegenheit an den Tag gelegt hat.
2. Vielleicht sind ja die Konzerne, die wegen ein paar Steuerprozenten aus ihrem Umfeld abwandern, selber das Problem. Das kurzfristige Shareholder- und Renditedenken ist zwar legal und legitim, aber Axa beweist, dass auch längerfristiges, partnerschaftliches Stakeholder-Denken erfolgreich sein kann. Richten wir unsere Wirtschaftspolitik auf solche Unternehmen aus!
3. Wir teilen die Analyse des Landboten vom letzten Mittwoch: Es geht hier absolut nicht um ein spezifisches Winterthurer Problem, die Ursachen liegen auf übergeordneten staatlichen Ebenen:
• zahlreiche Kantone (auch der Thurgau) werben aggressiv mit tiefen Gewinnsteuern um Konzerne. Der Kanton Zürich mit vielen Leistungen zugunsten der Region und der ganzen Schweiz (Flughafen, ÖV-Netz, Uni, Fachhochschuldichte, Kultur, städtische Infrastrukturen etc.) und hohen Zahlungen an den Nationalen Finanzausgleich kann da nicht mithalten. Er bleibt chancenlos in einem unfairen Wettbewerb gegen Hasardeure (z.B. Luzern) und Trittbrettfahrer (z.B. Thurgau oder Schwyz).
• «Der Steuerwettbewerb geht am Ende immer zugunsten der Aktionäre und zulasten der Gemeinwesen aus» (man lasse sich diesen und den nächsten Satz aus dem Landboten auf der Zunge zergehen!)
• «Panikmache ist fehl am Platz. Winterthur ist nicht über Nacht zur Wirtschaftshölle geworden. Zwei Fälle von Steuerflucht machen noch keinen Exodus».
Unsere Konsequenz:
1. Wir arbeiten auf kommunaler Ebene weiterhin an unseren Stärken, damit Winterthur eine attraktive Stadt mit hoher Lebensqualität ist, um hier zu wohnen, zu leben, alt zu werden, Freizeit und Kultur zu geniessen und zu arbeiten. Hier sind wir auf gutem Weg, das belegt auch die kürzlich erschienene Bevölkerungsstatistik. Wachstum ist nicht oberstes Ziel, aber es beweist, dass unsere Stadt attraktiv ist.
2. Es gibt aber – und zwar schon seit langem – Handlungsbedarf auf übergeordneter Ebene. Der interkantonale Steuerwettbewerb (v.a.im Bereich der Unternehmenssteuern) ist erwiesenermassen schädlich. Auch wenn neoliberale Ideologen nie aufhören, die Vorteile des Wettbewerbs zu preisen, weiss man schon längst, dass Wettbewerb eine sich selbst zerstörende Ordnung ist. Deshalb ist heute ökonomisch und politisch längst akzeptiert, dass jeder Wettbewerb seine Schranken und Leitplanken braucht. Das gilt auch für den Steuerwettbewerb. Wenn sich Kantone gegenseitig ruinieren, zahlen private Bürgerinnen und Bürger am Ende die Zeche und es geht allen schlechter. Deshalb ist es endlich an der Zeit für einen nationalen Mindeststeuersatz (ich sage nicht Einheitssatz) für Gewinnsteuern.
Die SP lädt alle Parteien ein, an dieser Idee und der konkreten Ausgestaltung mitzuarbeiten. Weil es aber kein spezifisches Winterthurer Problem ist, muss vielleicht der Zürcher Kantonsrat die Diskussion anstossen, vielleicht braucht es auch einen direkten Vorstoss im Bundesparlament. Aber was Winterthur in diesen Wochen erlebt, sollte Warnung sein für alle kommunalen und kantonalen Gemeinwesen. Lassen wir uns nicht von ein paar steueroptimierenden Geschäftsleitungen verrückt machen. Wir Politikerinnen und Politiker haben einen anderen Auftrag. Für eine solidarische und wirtschaftlich gesunde Schweiz. Und wir hier für ein solidarisches, lebenswertes Winterthur!
Herzliche Dank für eure Mitarbeit.
Roland Kappeler, Fraktionspräsident