Rassismus und Diskriminierung im Arbeitsalltag
Es gab aber auch Hoffnung und Freude zu hören, dass verschiedene Ansätze einen Beitrag zum Abbau leisten können.
Den Einstieg in die Diskussion wagten zwei Frauen von Flexifeen, einer Genossenschaft für Reinigung und Alltagshilfe, die von ihren Erfahrungen hier in der Schweiz berichteten. Sie hätten sich oft ausgegrenzt und minderwertig gefühlt. Adele Villiger (Reinigungsfachfrau) wurde schon in der Schule von ihrem Gymnasiallehrer nur auf Deutschfehler reduziert. Dies führte dazu, dass sie die Matura nicht abschloss. In der Berufsberatung wurde dann zum ersten Mal Klartext gesprochen: «Ich empfehle dir eine Arbeit hinter den Kulissen, die Schweizer schauen auf das Bild, da passt es nicht, dass du als dunkelhäutige Frau im direkten Kontakt mit Schweizer Kunden arbeitest». Solche Erfahrungen prägten ihr Selbstwertgefühl. Erst in der Genossenschaft habe sie erfahren, wie es sich anfühlt, zeigen zu können, was sie weiß und kann. Die Werte von Flexifeen sind das Leben in der Gemeinschaft, Fairness, Vielfalt und Inklusion sowie Toleranz und Respekt.
Ximenas Amador Penas Geschichte beginnt erst als erwachsene, verheiratete Frau und Mutter in der Schweiz. Als ihre Kinder in die Schule kommen, will sie ihren Platz in der Gesellschaft wieder finden. «Ohne Arbeit ist man in der Schweiz ein Niemand», sagt sie. In Mexiko hatte sie damals ihren Bachelor gemacht. Das Arbeitsamt rät ihr zu einem aufbauenden Masterstudium. Ihr Abschluss liege zu lange zurück. Sie befolgt den Rat, doch dann kommt die Ernüchterung: Ihr Alter und ihr nicht perfektes Deutsch seien der Grund, weshalb sie auch jetzt keine Arbeit fände. Nach einem weiteren Studium mit dem Schwerpunkt Genossenschaften hat sie die Genossenschaft Flexifeen mitgegründet. Diese funktioniere zwar langsam, sei aber stabil, nachhaltig und hartnäckig- genau wie sie selbst.
Die Kooperative ist nach einem horizontalen Modell aufgebaut, alle sind gleichgestellt. Ziele sind zum Beispiel, dass die Frauen eine Rente und bezahlten Urlaub bekommen. Am meisten haben sich die Frauen aber innerlich verändert: Sie fühlen sich jetzt der Schweiz zugehörig. Alle haben ihre Deutschkenntnisse verbessert. Sie sind Unternehmerinnen. Sie sind Arbeitgeberinnen und tragen zur Wirtschaft bei.
Alle im Raum sind beeindruckt von diesen beiden Frauen, das Publikum wie auch die Expertin neben ihnen auf dem Podium: Es handelt sich zum einen um Nese Cetinkaya, Leiterin der Fachstelle Diversity Management der Stadt Winterthur. Sie erzählt, wie die Fachstelle arbeitet und dass sie neben der Strategie für Winterthur auch Leitfäden erstellt und Schulungen für städtische Angestellte durchführt. So sollen strukturelle Grundlagen geschaffen werden, die der gesamten Winterthurer Bevölkerung einen gleichberechtigten Zugang zu städtischen Dienstleistungen ermöglichen. Zudem will die Stadt mit ihrer Stadtverwaltung Vorbild sein für eine Gemeinschaft, die vor Diskriminierung und Rassismus schützt.
Hilmi Gashi ist der zweite Experte in der Runde. Er arbeitet bei der Unia und ist Mitglied der eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. In seiner Funktion versucht er, die Mechanismen zu verstehen, die rassistische Diskriminierung ermöglichen oder gar fördern – und kämpft dagegen an. Migrant:innen sind Menschen, die unterschiedlich angeschaut werden können. Als Menschen, die Defizite oder Ressourcen mitbringen. In der Schweiz, wo jede dritte Arbeitsstunde von Migrant:innen geleistet wird, können wir uns eine defizitorientierte Sichtweise nicht leisten. Die Unia kämpft unter anderem dafür, dass die Gewerkschaften im Namen von Einzelpersonen vor Gericht gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz vorgehen können. Für viele Migrant:innen ist der Zugang zur Justiz mit Angst beladen. Solange aber der Arbeitsplatz als privater Raum betrachtet wird, ist ein solches, stellvertretendes Vorgehen rechtlich unmöglich.
«Wir wurden alle rassistisch sozialisiert, bewusst oder unbewusst. Nur, was machen wir daraus?» Hilmi Gashi, Gewerkschaft Unia und Mitglied der eidg. Kommission gegen Rassismus