Mehr Inklusion – weniger Chancengleichheit

Die Winterthurer Schulpflege hat sich wichtige und sinnvolle Ziele für die Legislatur 2022-26 gesetzt. Besonders erfreulich ist, dass sich die Schulpflege zur inklusiven Schule im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention bekennt und die Einführung eines Tagesschulmodells zum Ziel gemacht hat. Ein grosser Wehrmutstropfen ist das ausbleibende Bekenntnis zu griffigen Massnahmen für mehr Chancengleichheit, konkret durch bessere Durchmischung der Schulen.

Legislaturziele der Schulpflege 2022 – 2026

Autorin: AG Bildung der SP Winterthur

 

Im Parteiprogramm für die Gemeindewahlen 2022 forderte die SP Winterthur Tagesschulen als Lern- und Lebensorte und einen besseren Bildungszugang für benachteiligte Menschen. Die Winterthurer Schulpflege hat diese beiden Forderungen in ihr Legislaturprogramm aufgenommen: Sie möchte eine breit abgestützte Strategie für ein Tagesschulmodell vorlegen und im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention eine inklusive Schule ermöglichen. Diese klaren Zielsetzungen stimmen zuversichtlich, dass dem auch Taten folgen werden.

Dass mit dem Ziel der inklusiven Schule auch gleichzeitig die Tragfähigkeit der Schulen in den Fokus genommen wird, ist eine erfreuliche Überlegung und macht sicher Sinn. Für die Integration von Kindern mit Benachteiligungen ist es zentral, dass die Schule leistungsfähig und belastbar genug ist, diese Aufgabe zu stemmen – sonst kann die Umsetzung dieses Ziels ins Auge gehen. In dem Sinne ist es auch zu begrüssen, dass sich die Schulpflege einen weiteren Anlauf macht, die Sonderschulquote zu stabilisieren.

Eine einheitliche Strategie für die Umsetzung des Tagesschulmodells in der Stadt Winterthur ist längst überfällig. Mittlerweile ist diese Idee breit akzeptiert und wird auch schon in verschiedenen Varianten umgesetzt. Bei diesem Ziel betont die Schulpflege die Zusammenarbeit mit den Schulen und den verschiedenen politischen Gremien besonders und strebt eine ‘politisch breit abgestützte’ Strategie an. Nachdem das Thema nun schon so lange Zeit präsent ist, ist das wohl unabdingbar. Es bleibt zu hoffen, dass die angestrebte breite politische Unterstützung schlussendlich nicht im Weg steht für eine progressive Lösung.

Einen wirklich mutigen Ansatz in der Winterthurer Bildungspolitik – bessere Durchmischung der Schulhäuser durch flexible Schulraumzuteilung – hat die Winterthurer Schulpflege leider nicht in ihre Legislaturziele aufgenommen. Dabei liesse sich damit einen grossen Beitrag zur Chancengleichheit leisten. Im Schulkreis Seen-Mattenbach wurden unter der ‘alten’ Kreisschulpflege die Grenzen zwischen den Schulhaus-Einzugsgebieten bereits aufgeweicht und bei der Zuteilung der Schüler:innen vermehrt auf den Anteil fremdsprachige Kinder in den einzelnen Schulhäusern geachtet. So konnten diese gleichmässiger auf die einzelnen Schulhäuser verteilt werden, ohne dass für die einzelnen Kinder ein wesentlich längerer Schulweg entstand. Es ist wissenschaftlich belegt, dass in Schulen, die einen bestimmten Anteil fremdsprachige Kinder überschreiten, alle Kinder – auch mit Deutsch als Muttersprache – langsamer Lernfortschritte machen.

Leider hat die Winterthurer Schulpflege diese Praxis in Seen-Mattenbach vorerst eingestellt und noch nicht bekannt gegeben, wie sie bei diesem Thema weiter vorgehen will. Die Schulraumzuteilung ist aber ein wirklich griffiges Werkzeug für Chancengleichheit. Die beiden eingangs erwähnten Legislaturziele – inklusive Schule und Tagesschulmodell – tragen auch etwas zu mehr Chancengleichheit bei. Dies aber vor allem, indem benachteiligte Kinder unterstützt werden. Für wirkliche Chancengleichheit müssen aber nicht nur Benachteiligungen behoben, sondern auch ungerechtfertigte Privilegien abgebaut werden. Genau das wird mit flexibler Schulraumzuteilung erreicht. Wir erwarten deshalb von der Schulpflege, dass sie diesen Ansatz zeitnah wieder aufgreift und damit und mit weiteren konkreten Massnahmen für mehr Chancengleichheit in den Winterthurer Schulen sorgt.