Initiative «Ein Lohn zum Leben»: Eine Chance für Winterthur

Die Einreichung der Initiative «Ein Lohn zum Leben», welche einen Mindestlohn von 23 Franken brutto pro Stunden verlangt, hat in Winterthur kontroverse Diskussionen ausgelöst. Das verwundert, kann doch die Forderung nach einem Lohn, der zum Leben reicht, nicht ernsthaft bestritten sein.

Prekäre Arbeitsverhältnisse gibt es auch in Winterthur, auch wenn man sie nicht sieht und offenbar auch keine Zahlen darüber existieren. Die Initiative «Ein Lohn zum Leben» bietet Winterthur die Möglichkeit, sich als fortschrittliche Stadt zu positionieren und eine Vorbildfunktion einzunehmen.

Alle Menschen haben das Recht auf ein würdevolles Leben. Dazu gehört auch ein Lohn, der nicht nur das reine Überleben sichert, sondern auch eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht. Da die Privatwirtschaft offensichtlich nicht in der Lage ist, ein solches Lohnniveau für alle Menschen zu gewährleisten, ist der von der Initiative geforderte, bescheidene staatliche Eingriff ohne weiteres angezeigt. Im Idealfall wirkt er sich sogar positiv auf die Verhandlungen der Sozialpartnerinnen und Sozialpartner aus und bewirkt eine Nivellierung nach oben.

 

Dass Unternehmen bei Annahme der Initiative aus Winterthur wegziehen würden, ist im Übrigen nicht anzunehmen. Der Mindestlohn wird für jede Tätigkeit auf Stadtgebiet garantiert, unabhängig davon, wo das Unternehmen seinen Sitz hat. Einige der betroffenen Tätigkeiten (namentlich Reinigung) können nur vor Ort ausgeübt werden, bei anderen (namentlich Detailhandel und Gastronomie) wäre ein Wegzug des Geschäftslokals aus der Stadt als regionalem Zentrum wirtschaftlicher Unsinn. Vor diesen von den Gegnerinnen und Gegnern der Initiative aufgeworfenen Schreckensszenarien brauchen wir uns also nicht im Geringsten zu fürchten.

 

Michael Stampfli, Mitglied der Geschäftsleitung der SP Winterthur

 

Leserbrief zum Landbote-Artikel «Das Feilschen um den Mindestlohn beginnt» vom 14. Januar 2021 und zum Leserbrief «Arbeitsplatzvernichtung» von Dani Romay vom 20. Januar 2021 erschienen im Landboten vom 23. Januar 2022